Gegen den Fachkräftemangel hilft nur Attraktivität

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Eine Person mit Brille steht neben einem Tisch mit einem Gehirn.

Winfried Schröter erklärt im StudiumPlus-Interview, worauf es in den Unternehmen jetzt ankommt

Was tun gegen den Fachkräftemangel? Winfried Schröter rät Unternehmen dringend zu mehr Kreativität. Attraktiv machen für vorhandenes und künftiges Personal, laute das Erfolgsrezept. Wie das funktioniert und warum Führungskräfte dabei die entscheidende Rolle spielen, erklärt der renommierte Berater, Trainer und Redner im Interview mit StudiumPlus.

Schon heute ächzen Unternehmen in nahezu allen Branchen unter dem Fachkräftemangel. Sie warnen, das sei erst der Anfang. Was steht uns noch bevor?

Winfried Schröter: Aktuell fehlen uns rund zwei Millionen Fach- und Arbeitskräfte. Bei einem bundesweiten Potenzial von rund 47 Millionen Arbeitskräften schlägt das noch nicht so zu Buche, doch wir spüren es schon. Aber in etwa acht bis zehn Jahren – in der deutschen Wirtschaft ist das fast nichts – fehlen uns 16 Millionen Fach- und Arbeitskräfte. 16 Millionen Leute, die nicht da sind. Wir erleben den Wandel vom Arbeitgeber- zum Arbeitnehmermarkt. Wenn wir dafür keine Lösungen erarbeiten, wird es zu einem internen Kampf in der Wirtschaft kommen. Aufgrund des demografischen Wandels wachsen immer weniger Arbeitskräfte nach. Hinzu kommt, dass immer mehr Kinder studieren. Aus dem Grund, dass die Eltern ein Mitspracherecht haben, welche weiterführende Schule ihre Kinder besuchen. Das ist ein großes Problem besonders für die Handwerksberufe, für die nicht mehr viel Potenzial übrigbleibt.

Hat Corona die Lage zusätzlich verschärft? Seitdem ist der Mangel noch präsenter.

Schröter: Ja, das Thema Sicherheit hat hier eine Rolle gespielt. Denken Sie beispielsweise an die Gastronomie. Es war Lockdown, die Servicekräfte haben sich umorientiert, sind in sicherere Arbeitsplätze gewechselt. Durch Corona hat es große Verschiebungen gegeben. Den Leuten, die sich plötzlich in ihrer Existenz bedroht fühlten, ist bewusstgeworden, dass Sicherheit ein bedeutender Faktor ist.

Sind alle Branchen gleichermaßen betroffen, oder trifft es einige härter als andere?

Schröter: Natürlich wird es als erstes diejenigen treffen, die besonders viel Personal benötigen. Grundsätzlich kann man das aber nicht für einzelne Branchen festmachen, es trifft alle. Das reicht von der hochqualifizierten Führungskraft bis zum ungelernten Hilfsarbeiter – es mangelt an allen. Im Niedrigstlohnsegment, im Handwerk und in hochtechnologisierten Unternehmen, die absolute Spezialisten brauchen.

Wie können Unternehmen dem Fachkräftemangel entgegenwirken? Wie sollten sie reagieren?

Schröter: Bevor man sich auf die Suche nach neuen Talenten macht, sollten die vorhandenen Mitarbeiter abgesichert werden. Die Personalbindung ist das A und O, um die Fluktuation zu senken. Entscheidend ist hier die Mitarbeiterführung, die Führungskräfte haben den Schlüssel in der Hand. Als Berater empfehle ich, dass man sich dazu externe Unterstützung ins Haus holt. Die Stimmung in jedem einzelnen Team sollte auf den Prüfstand gestellt werden – auch wenn die Firma noch so groß ist. Jede einzelne Fachkraft und jede Führungskraft sollten überprüft werden. Wie ist das Verhältnis? Ursachenforschung ist nötig. Mögliche Machtkämpfe müssen unbedingt beendet und Konfliktgespräche geführt werden. Bei einem Machtkampf gibt es keine Gewinner, es gibt nur Überlebende. Das können wir uns in Unternehmen nicht leisten. Wir müssen sinnvoll mit Konflikten umgehen. Und wir müssen Leute haben, die Konflikte ansprechen können – unaufgeregt, unemotional, sachlich und lösungsorientiert. Gesprächsführung lässt sich trainieren und es können Vereinbarungen gemeinsam mit dem Team getroffen werden, an die sich alle halten. Das ist für mich das Erfolgsrezept schlechthin.

Meinen Sie das, wenn Sie sagen, dass sich Unternehmen attraktiv machen müssen?

Schröter: Ja. Wenn ich einen Konflikt löse, fühle ich mich hinterher besser. Wenn ich einen Konflikt ignoriere, wird er größer. Mit Macht und Gewalt gewinne ich nichts, sondern ich verliere im Zweifel meinen Mitarbeiter oder das Team. Das kann ich mir nicht leisten, dieses alte Verhalten ist vorbei. Wir brauchen Leute, die analytisch vorgehen, die einen Konflikt erkennen können und das Problem mit der richtigen Gesprächsführung ansprechen können.

Attraktivität bedeutet also gutes Unternehmensklima und Wohlfühlatmosphäre?

Schröter: Genau. Aber nicht mit kostenlosem Wasser, Kicker, JobRad, Yogakurs oder bezahlter Fitnessstudiomitgliedschaft. Das sind die falschen Mittel. Ich muss nicht viel Geld investieren, stattdessen benötige ich Zeit. Für Mitarbeitergespräche und Smalltalk und um ständig in Kontakt zu sein. Führung heißt, mindestens 80 Prozent der Zeit in Personalführung zu investieren und höchsten 20 Prozent in das Tagesgeschäft. In der Realität sind es zumeist 99 Prozent Tagesgeschäft. Und wenn ein Mitarbeiter dann ein Gespräch mit mir als Chef oder Führungskraft benötigt, gucke ich, wo ich mir die Zeit stehlen kann. Das ist nicht in Ordnung. Mein Mitarbeiter fühlt sich dementsprechend nicht gewertschätzt. Es ist eine Fehlplanung, wenn ich als Führungskraft nicht in der Lage bin, meine Mitarbeiter so zu trainieren, dass sie meine Arbeit machen können. Viele Führungskräfte machen sich unentbehrlich, aber das ist vollkommen falsch. Diejenigen, die wirklich vom Team geliebt werden und sich entbehrlich machen, sind die stabilen Führungskräfte. Das Ziel ist, emotional wichtig zu werden für den Mitarbeiter.

Kann sich ein Unternehmen attraktiv machen, indem es höhere Löhne und Gehälter als die Mitbewerber zahlt?

Schröter: Mit monetären Mitteln allein sind Mitarbeiter nicht zu halten. Was passiert, wenn ich den höheren Lohn plötzlich nicht mehr zahlen kann? Diejenigen Mitarbeiter, die allein wegen des Geldes da sind, orientieren sich dann um. Es kann auch passieren, dass ich viel Geld in die Hand nehme und Leute einkaufe. Aber es gibt immer einen, der noch mehr zahlen kann. Sich davon abhängig zu machen und in diese Spirale zu begeben, ist ein Schleudersitz. Die meisten können sich das nicht leisten. Die emotionale Bindung ist viel wichtiger. Mitarbeiter kündigen keine Firmen, sondern Mitarbeiter kündigen Menschen.

Wenn ein Unternehmen attraktiv ist, können die Mitarbeiter gehalten werden. Wie aber finde ich darüber neue Mitarbeiter?

Schröter: Das passiert automatisch. Wenn wir z.B. 98 Prozent glückliche Mitarbeiter haben – das ist übrigens eine sehr realistische Zahl – sind diese loyal. Und wenn sie loyal gegenüber der Firma sind, tragen sie das auch nach außen. Die Außenwirkung wird dann über die Mitarbeiter erzielt, nicht über Werbung und Marketing. Werbung und Marketing funktionieren über Manipulation – das weiß jeder, da sind wir sensibel, da haben wir ein Gespür dafür, ob etwas echt oder unecht ist. Und es gibt nichts Echteres, als zufriedene Mitarbeiter. Damit entsteht eine Sogwirkung. Das sind Unternehmen, die nie von Fachkräftemangel sprechen werden.

Noch einmal zur erschreckenden Zahl von 16 Millionen Arbeitskräften, die in Zukunft fehlen. Bedeutet das, dass ein Unternehmen künftig jeden Bewerber nehmen muss?

Schröter: Wenn Sie Fachkräftemangel haben: ja. Wenn Sie so agieren, wie ich es gerade geschildert habe, dann nein. Dann haben sie die Auswahl, dann erhalten Sie so viele Initiativbewerbungen, dass sie auch danach gucken können, ob der Bewerber zum Unternehmen und ins Team passt. Geht es demjenigen nur ums Geld? Oder geht es ihm auch darum, die Firma nach vorne zu bringen? Fachlich kann ich dagegen jeden ausbilden. Die Weiterentwicklung der Mitarbeiter wird übrigens in vielen Firmen sträflich vernachlässigt. Auch das ist Teil der Personalbindung.

Inwiefern verändert der Fachkräftemangel auch das Kräfteverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer?

Schröter: Es kommt zur Machtverschiebung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, das Unternehmen bewirbt sich in Zukunft um den Mitarbeiter und nicht mehr umgekehrt. Wenn ich als Patriarch Angst habe, dass die Mitarbeiter nicht mehr tun, was ich sage, dann agiere ich mit Macht. Das lässt sich heute niemand mehr bieten. Muss auch nicht, dafür gibt es zu viel Konkurrenz und Angebot. Wenn ein Mitarbeiter weiß, dass er gebraucht wird und eine zu schützende Ressource ist, dann fühlt er sich natürlich in einer wesentlich besseren Situation. Dieses neue Machtverhältnis spüren viele Inhaber bereits heute. Sie registrieren, dass die Mitarbeiter redegewandter werden, lauter werden, mehr Forderungen stellen.

Auch die Generation Z stellt neue Anforderungen an das Berufsleben. Stichwort Work-Life-Balance. Wie sollten sich Unternehmen darauf einstellen?

Schröter: Indem sie eine bestimmte Firmenphilosophie haben, eine neue Firmenphilosophie. Es geht darum, gesellschaftlich neu zu denken. Was ist jetzt sinnvoll? Was wird jetzt benötigt? Womit schaffe ich jetzt Verbindung? Wenn ich meine Philosophie auf den Prüfstand stelle und darauf gucke, dass mein Unternehmen gesamtgesellschaftlich ein gutes Angebot ist für den Großteil meiner vorhandenen und potenziellen Mitarbeiter, dann habe ich kein Problem. Dazu braucht es Beratung, das kann man nicht alleine wegen der Betriebsblindheit.

Zur Person:

Winfried Schröter ist Bestsellerautor („Führ‘ mich, Chef!“), Führungskräftetrainer, Redner und Menschenkenner und berät seit mehr als 25 Jahren Unternehmen in Personalfragen, Verkauf und Resilienz. Er zählt zu den gefragten Top 100 Excellence Speakern. Zum Thema Fachkräftemangel und Fachkräftegewinnung referierte Schröter vor 50 Unternehmensvertreterinnen und -vertretern beim Unternehmerfrühstück am StudiumPlus-Campus Biedenkopf.